TEXT VON:
Seit 1993 Honorarprofessor des Kunsthistorisches Instituts der freien Universität Berlin
Versucht man heute, in der Mitte des Jahres 1973, die seit etwa 1968 entstandenen Arbeiten Hanns Holtwiesches kritisch, d.h. auch unter dem Gesichtspunkt einer an Anspruch und Forderung gegenüber sich selber zunehmenden Entwicklung zu mustern – ohne sie ständig gegen die jetzige Kunstproduktion zu messen – so wird eines zuallererst deutlich: Hanns Holtwiesche hat nicht den Bereich seines Könnens und Wollens um irgendeines modischen Effektes, Erfolges willen verlassen, ist – so trivial es klingen mag – seinen Ideen von Kunst und Menschlichkeit treu geblieben. Die aus präzisen inneren Vorstellungen erwachsenen "figura" und das formal wie geistig verstandene Phänomen der Öffnung und Durchdringung von Raum, Flächen und dem, "was jenseits" unserer Um–Welt und eigenen Unzulänglichkeit denkbar oder zu ahnen ist, von Figur und Gegenfigur, in suggestiver fast allgemeinverständlicher Aussage, sie sind das, worum sich seine Arbeit als Künstler immer bemüht. Seine Bilder großen Formats und seine Aquarelle, seine Bildwände, seine Plastiken und freien Entwürfe, seine an architektonisch–räumlichen Gegebenheiten orientierten großen Betonbildwerke. Das gilt vor allem aber auch für die 1972 vollendete Gestaltung der Kapelle der evangelischen Krankenanstalten in Duisburg–Hamborn.
Wenn man 1968 ein präzise betiteltes Bild "Ikaros" auch genau im Sinne etwa von Paul Klees human–kosmischer Weltsicht beschreiben konnte als "das im Geist erwogene Vorhaben und den Prozess des Aufsteigens, Schwebens und Fliegens", so weist zwar das Querformat "Figurinen auf Grün" desselben Jahres im künstlerischen ähnliche Spannungsverhältnisse auf – in die untere erdfarbene Zone eingebettet die grüne Fläche, auf der und um die herum die "Figuren" aufrecht, alle bedingungslos miteinander verklammert stehen; die Farbflächen sind zweidimensionale Bildfläche, zwingen aber den Betrachter in der räumlichen Kraft der Hell–Dunkelwerte, ihre Tiefenerstreckung zu ergründen; die "Figuren" staffeln sich auch in den Raum unter der hellen oberen Zone, ihre Dichte und Vergitterung füllt das Bild bis an die Ränder; den Grad ihrer Aktivität bestimmen nicht nur leuchtende Rottöne oder Schwarzfelder, sondern auch ihre zum Teil glatte, zum Teil mit dickem Pinsel rau und stumpf gemalte Oberfläche; aber dennoch wird man hier zurückhaltender sein in einer genau festzulegenden Deutung dieses Exemplums von "Figuren–Malerei".
Ähnliches gilt für die Ketten– und Kreuzmotive in Art eines Netz– und Gitterwerks des ebenfalls 1968 entstandenen "Golgatha", die in unerbittlich bedrohendem Schwarz vor gelblichen Ockerfeldern waagrecht von dem dunklen Spalt ausgehen bzw. in lichtem Blau zeichenhaft die asymmetrische Zerteilung der großen warmen und kühlen roten Grundfläche vornehmen.
Bis gegen 1968 waren die Bilder besonders stark auf die kompositionelle Einbindung der "figura" und ihrer Variationen – oft stelenartige Gebilde – in farbige Fläche und Bildraum bedacht, erhielten sie ihre anregende Wirkung aus der Spannung von nur scheinbar rein grafischen und räumlich–plastischen
Elementen. In gesteigertem Maße – und das spricht für die "varietà" die im Bilde stets neu bewusst werdende Spannung von' "figura", Fläche und Raum, von Lichtfarben und Tonigkeit, von Drang zur Vereinzelung und zugleich Einbindung und Vereinheitlichung der Elemente –, gilt dies auch für zwei nur scheinbar dekorativ aufgefasste Bilder. Ihre Großflächigkeit und von wenigen nuancen-reichen Farbtönen bestimmte Eindringlichkeit führt von den "gegenständlichen Figuren" der früheren Bilder fort, verwendet ihre Formelemente in erweiterter Bedeutung. Zwei in Sand–Ockertönen, in ihren scharf geschwungenen Konturen einander verwandte, an einer roten Nahtstelle deutlich aneinandergeheftete Komplexe brechen vom schwarzen Untergrund her auf. Neue Bindestellen sind an den kräftig pastosen Rändern im Entstehen, die das Schwarz jedoch schon erneut auch zur "figura" machen. "Spaltungen" – ein natürlicher Prozess, entwiklungsträchtig, im Künstlerisch–Formalen eindeutig – etwa durch die blauen Zeichen – begrenzt.
Allein schon durch die als Licht–Kuppel–Raum verstandene, beruhigend klassische Form der Halbkugel, aber auch durch den Kontrast von Schwarz, Violett und Ocker statisch wirkender das Bild "Inside Sun", dessen gegenständige "Schrift"–Züge in kühlen, lichten Blautönen in bewusstem Gegensatz zu ihren roten Konturen (ebenso gut sind diese als Zeichen vor Blau lesbar) und dem zentralen gelben Klammermotiv gesetzt sind. An dieser Stelle bricht die schwarze Figuration – optisch sowohl als Spalt in die Tiefe wie als magisch ungreifbares, plastisches Motiv zu verstehen – in den Lichtbereich ein. – Dieses Bild zeigt besonders Holtwiesche stark in Tonabstufungen differenzierende Maltechnik (bei den Großformaten zumeist in Acryl) und seine vorwiegend auf Kontrast und Ergänzung von stark gedeckten Mischtönen (um Ocker z.B.) abgestellte Farbskala, was auch für seine – häufig in Serien entstehenden Aquarelle gilt.
In ähnliche Richtung wie "Inside Sun", jedoch allein schon in der Verwendung von Blattgold und des triptichonartigen Kompositionsprinzips pathetisch anspruchsvoller, weist das 1972 entstandene "Il mio Angelo". Es ist eine äußerst persönliche, ambivalente Interpretation des alttestamentarischen Kampfes von Jakob mit dem Engel, deren grafische wie farbliche Komposition in ihrer Verkettung mit einem durch Titel oder Äußerungen des Malers momentan festgelegten Inhalt an die Grenze eines individuell geprägten Symbolismus geraten mag.
Scheinen die plastischen, wellenartigen Formen der Sandflächen zu Seiten eines "Tales" direkte Hinweise auf eine konkrete Deutung des Bildes "Stadt in der Wüste", 1972, zu geben, so ist man jedoch schon gar nicht sicher, ob die grün bis lichtblau parzellierende Teilung der roten Felder als in Auf– oder Ansicht gegeben oder die oben von hellem Blau umgebene "Figur" als aufrecht oder liegend, als plastischer oder silhouettenhafter Ausschnitt und Durchbruch zum roten Bildgrund zu verstehen sind. Das Bild erzählt nicht, erklärt nichts, und doch gibt es schließlich nur die eine Assoziation an einen allgemeinen Zustand von menschlicher Existenz, deren erdenkbare Grenzen davon fließen wie der Sand in der Wüste.
Charakteristisch für Hanns Holtwiesches Arbeitsweise und innere Entwicklungsgeschichte seiner Bilder ist, dass er selten Entwürfe im Sinne von exakten Kompositionsstudien macht. Eine Fixierung von Bildideen und inhaltlichen Vorstellungen, die später an ganz anderer Stelle und unter anderen Bedingungen verfügbar sind, ausgewertet werden, sind unter anderem bisweilen seine Aquarelle, wie z.B. das hier abgebildete von 1971. Unter gänzlichem Verzicht auf alle Raffinesse der Farbe und auf die "figuralen" Motive der linken Seite erscheint der obere Teil seitenverkehrt wieder – monumentalisiert und durch vielfach unter-schiedene graphische Elemente bereichert – auf der geätzten Innenseite der "Tür des Gesetzes" in der Kapelle in Duisburg–Hamborn. Ebenfalls in den Formen reduziert und vereinfacht deutet die Außenseite dieser Kapellentür aus Edelstahl die räumlich–inhaltliche Mehrschichtigkeit des 1970 gemalten Hochformats "Tafel für einen Mann ohne Angst" an und beweist auch hier wieder die reiche Vielfalt des eben nur scheinbar begrenzten Formenrepertoires des Malers Holtwiesche.
Muss man auch bei den neueren Arbeiten immer mehr auf früher mögliche Vergleichbarkeiten mit jüngst vergangener oder aktuell zeitgenössischer Kunst verzichten, so könnte bei dem ruhigen Querformat "Zwischen den Lichtern" von 1970, etwa bei der Farbnuancierung und Farbstrukturierung der locker umgrenzten Flächen, der Name Jules Bissier fallen. Und doch, Holtwiesches Bild – weniger transparent als Bissiers zarte "Miniaturen" – erscheint beladener im mehrschichtigen Staffeln und Aufbauen über dem brückenartigen Balken und unter dem zur gespaltenen, vom roten Felde beherrschten Mitte zulaufenden Zeichenband. Nicht nur von oben und unten, sondern vor allem von hinten und vorn hellen Lichtquellen die kräftig großen und zarteren kleinen Farbfelder ebenso auf wie den von kalt–weißem zu warmem Ocker wechselnden Grund. Trotz engen Beieinanders der "figuralen" Motive links und rechts von dem violetten "Herzstück" des Bildes, scheinen räumlich wie bedeutungsmäßig Weiten zwischen ihnen zu liegen. Die rechts von der Bildmitte beherrschend eingesetzte schwarze Senkrechte widerlegt jegliche Auslegung des farblich raffiniert gestimmten Bildes als rein formal ausgewogene "Komposition" aus graphischen Elementen und dem Aquarell genäherten Farbtönen. Ein wirklich schönes Bild, das Fragen herausfordert, Fragen nicht an das Bild sondern an uns selbst.
Und diese Tatsache, dass die im Laufe seiner Entwicklung immer eindeutiger gewordene Bildaussage gleichzeitig auch Frage in uns selbst bewirkt, d.h. unsere Standpunkte erschüttert, unseren Geist in eine momentane Isolierung führt, die dann sehr oft zu neuen persönlich–bezogenen Aspekten zwingt, unsere – dann verblüffende – Relation "zu dem was jenseits unserer Um–Welt und eigenen Unzulänglichkeit denkbar oder zu ahnen ist", sichtbar macht, wird auch in seinen Arbeiten von 1973 immer klarer und deutlicher.
Zu den technisch–kompositionell länger vorbereiteten Arbeiten gehören wohl – auf Grund auch ihrer absoluten Größenordnungen – die Wandbilder in Frimmersdorf und Kempen. Im Foyer der Festhalle von Frimmersdorf wie an der dahinter liegenden Innenwand des Saales finden sich zwei auf Platten gemalte, äußerst farbenfrohe und nuancenreiche Kompositionen (entstanden 1970), die das bekannte Formenrepertoire von über– und ineinandergreifenden, zum,Teil ausschnitthaften Flächen und dunklen "figurativen" Gebilden, die die verschiedenen optischen Ebenen durchbrechen, auf einem bräunlich–sandfarbenen beziehungsweise in allen Blautönen rhythmisch gegliederten Grund erneut variieren.
Die in einzelnen Bereichen durch zentralisierend wirkende Motive kontrapunktisch überhöhten, 25m langen Wandflächen, die sich deutlich von der übrigen Innenarchitektur absetzen ohne sie zu negieren, strahlen gelöst, heitere Festlichkeit aus.
Sie erschließen sich jedoch dem Betrachter erst nach längerem Ablesen, wobei der Blick allmählich von den Seiten einer Mitte zugeführt wird.
Erst nach der Fertigstellung, aber aus einer folgerichtigen Entsprechung für den Rhythmus der figurativen Felder, für die Klangfolge der Farben und die kompositorische Schwingung, gab der Maler die Bezeichnungen "Hagar–Damm" (im Saal) und – für das noch lichtere Feld im Foyer – "Hagar–Schimm".
Wie sehr seine formalen und farblichen Qualitäten großen Flächen gerecht werden können, zeigen ebenso auch die beiden keramischen Wände im Hallensportzentrum der Stadt Kempen, deren 30 x 30cm große – teilweise mit Majolikafarben – glasierte Kacheln eine fast ans Aquarell erinnernde Leichtigkeit der Farbtöne und Farbkombinationen zeigen.
Die auf dem Dreiklang von Grün, lichtem Blau bis Violett und Rot aufbauende, dynamisch wirkende Farbkomposition scheint die rein zweckbedingte Architektur zu überwinden und sie zugleich – das Wasser als Grundelement einbeziehend – spielerisch als Freiraum zu paraphrasieren.
Es ist bezeichnend, ja von Holtwiesches grundsätzlichen künstlerischen Inventionen her zwingend, dass das Bemühen um die "figura" und ihre Gegenfigur in den Bildern in Gestalt von "Spaltungen", Durchbrüchen und Reliefkanten auch – und zwar von Anfang an – wirkliche Plastik, Werke in Gips und Ton, meistens zur Ausführung in Metall oder Beton bestimmt – hat entstehen lassen. Als ein Beispiel für diese modellierte, aufbauende Plastik (es ist nicht aus Holz geschnitzte, in Stein gemeißelte Skulptur) steht hier der Entwurf zur Gestaltung, man müsste fast sagen zur Humanisierung und Relativierung des Platzes am neu erbauten Schauspielhaus in Düsseldorf, der zwei Figuren des Jahres 1969, "Stele" und "Säule" kombiniert. Erstere wächst in fast vegetabil–plastisch bewegten Formen zur Allansichtigkeit zwingend empor, während die scharfkantiger geschnittene "Säule" in einer kreisrunden Bekrönung endet, die an klassische Kapitelle erinnert und so auch jeglicher einfachen Vermenschlichung der Figurationen ebenso bewusst widerspricht wie die steile Proportionierung. Man muss diese Doppelgruppe umgehen können, um alle Aspekte ihrer Torsionen und Konturlinien zu erfassen. Auch hier gibt es so gut wie keine Zeichnungen als Vorstadien, die plastische Konzeption entsteht sogleich im Modell.
In gleichsam optischen Phasen, wie aus der Drehung und Bewegung eine (seiner auch gemalten) Figurationen zerschneidend, erhält der Plastiker Holtwiesche das Material für den Bau einer neuen Figur. So z.B. in dem Entwurf eines silhouettenartig aus dem Umraum geschnittenen Gebildes, das in sehr verständiger Weise die Nahtstelle von Architektur und Platzgestaltung veranschaulicht, deren Formen zum Teil aufnimmt und zu eigener Figuration verwandelt. Der 1971 entstandene Entwurf für das neue Commenius–Gymnasium in Düsseldorf kam nicht zur Ausführung.
Ganz besonders organisch aus dem durch menschliche Planung bestimmten landschaftlich–architektonischen Umraum entwickelt ist die gut 15m lange, vorn fast 10m hohe Betonwand am Fuße des vielge-schossigen, aus Beton, Glas und Stahl errichteten Traktes der Natur–Wissenschaften in der Ruhr–Universität Bochum. Ein zirka 80m langer, in der Art japanischer Landschaftsgärten angelegter Innenhof steigt von einem runden Wasserbecken bis zu einem zweistöckigen Quertrakt an. Aus der
Funktion einer Betonmauer zur Abstützung der Terrasse und Sockelzone der Gebäude gegen das abfallende Gelände ist die in starker Kurvung nach vorn, in leichterer nach oben schwingende Sichtbetonwand rhythmisch locker und zugleich so monumental entwickelt, dass sie sich mit ihrem vordersten, steil aufragenden Pylon gegen die riesige Höhe des Treppenturmes des Hochhauses und die Vertikalen des Quertraktes mühelos behauptet.
Die durch den Sichtbeton im Gegensatz zu den weich modellierten, zum Teil wie gewachsener Stein wirkenden Oberflächen der inneren figurativen Zonen erreichte Sensibilisierung der kantig–großen Formen, verdeutlicht auch zugleich den Wechsel von konkav zu konvex, von erst kleinen, dann größeren raumbildenden Hohl–Formen und turmartigen "Figuren" von höchster plastischer Intensität.
Diese auch von markanten Licht-, und Schattenwirkungen beeinflusste Wechselsicht von Figur und Gegenfigur trägt den bezeichnenden Titel "Evolution". In den Proportionen wie in den zierlicheren "figurativen" Elementen der Komposition und konsequenterweise auch im Titel menschlicher noch ist die aus ähnlichen lokalen und funktionellen Bedingungen entstandene Betonplastik am neuen Marienhospital in Düsseldorf. Sie findet sich an einer zu einem Garten gelegenen Seitenfront und heißt "Mirakel".
Aus der mehrfach geknickten Stützmauer beginnt erst mit Einkerbungen, dann mit vorn auf der Hauptansichtsseite zunehmend reicheren Positiv- und Negativformen die Plastik, die sich als selbständiges Gebilde scharf und klar von den hellen Kieselbetonplatten der Treppenstufungen absetzt. Vorn, in der Seitenansicht besonders deutlich, begegnen sich zwei "Figurationen" und schaffen eine ihnen formal verwandte Hohl–Form in einer nahezu gleichnishaften Weise, wollte man
z.B. in den kantig–aufragenden Endformen zum Himmel erhobene Arme erkennen.
In einem solchen, der Öffentlichkeit zugänglichen und von vornherein für sie bestimmten Werk werden Vorzug und Grenze der Allgemeinverständlichkeit künstlerisch formaler Gestaltung als Ausdruck persönlich individueller Einsichten und Wirklichkeiten deutlich.
Die Kapelle der Evangelischen Krankenanstalten Duisburg–Nord in Duisburg–Hamborn
Nicht all zu oft erhält heute ein Künstler die Chance und Möglichkeit, seiner Begabung und seinen Intentionen gemäß einen Innenraum unter verschiedenen Gesichtspunkten der Funktion, in verschiedenen Materialien (zusammen mit einem Architekten) auszugestalten.
Am Haupttrakt der neuen Evangelischen Krankenanstalten in Duisburg–Hamborn wurde bis Ende 1972 eine – außen von großen dunkelgrünen Platten bestimmte – Kapelle errichtet, die auch für ökumenischen Gottesdienst gedacht ist.
In ihrem rechteckigen Grundriss sind vor den scharf geschnittenen Kreisformen der "Estrade" und der steinernen Altarstufe auf hellem Bodenbelag wenige Reihen schlichter Stühle zwischen zwei farbigen Glasfenstern so auf Altar und Ambo ausgerichtet, dass der freibleibende Gang in der Raumdiagonale Tür und Altar bedeutungshaft verbindet. Die Wände und der einzige ovale Pfeiler sind weiß (auf grobem Glasfasermaterial) gestrichen.
Zylindrische Edelstahlleuchten sind so an der Decke angebracht, dass sie den Bereich um den nach Nordosten gerichteten Altar und den bestuhlten Kapellenraum übergreifend verbinden. Der leicht nach innen eingezogene, seitlich schräg nach oben zulaufende Altarblock aus Beton, von schwerer Travertinplatte gedeckt, zeigt tief einschneidende, senkrecht und waagrecht zueinander geordnete Kreuz-Ketten-Motive, die in ausgeschnittener, also Negativ–Form auch in der Edelstahleinfassung des einfachen Holzkreuzes (Höhe 180cm) erscheinen und so dessen strenge Form in ihrer Isolierung zugleich betonen und "zugänglicher" machen.
An dieser Stelle – wie in der ganzen Kapelle – wird auch Holtwiesches Entscheidung für zeitgemäßes Material, z.B. für Edelstahl neben Beton, deutlich.
Seine Formelemente der Spaltungen, Kreuz-Ketten-Motive oder "Figurationen" hier als Spuren des Wortes Gottes in der Welt zu deuten, führt meines Erachtens schon zu weit und verleugnete Holtwiesches eigene im Sinne überkonfessioneller Weltsicht und Geistigkeit auf Humanitas gerichtete Aussagetendenzen.
Der im Gegensinn zu der Altarstufung konkav geschwungene steile Ambo verzichtet auf jede Auflösung der Strenge seiner Form, die allein ein schmaler Paramentstreifen lockern
wird.
So wie im Hinterfangen des, eigentlichen Altarraumes durch die auch als Sitzbank verwendbare konkave ''Estrade'' und der ihr entsprechenden Stuhlreihung, Einbeziehung und Konzentration des Kapellenbesuchers auf Kreuz, Altar und Ambo beabsichtigt werden, so ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verbindung einzelner Einheiten die diagonale Entsprechung der farbigen Glasfenster im Norden bzw. Südosten als der "Weg" vom Eingang – von der inneren "Tür des Gesetzes", – her zu verstehen.
Farblich besonders schöne und in der Erfindung zweckfreie Aquarelle und Bilder bezeugen gleichsam wie eine nachträgliche Rechtfertigung eines inneren künstlerischen Werdegangs den Ausgangspunkt für die hier "angewandten" Kunst–Formen. Das gilt z.B. für die schon erwähnte "Tafel für einen Mann ohne Angst" im Verhältnis zu der Außenseite der doppelflügeligen "Tür des Gesetzes" aus Edelstahl, deren nach unten gerichtete Kreuzform und Reliefschichtung von links nach rechts erst auf den zweiten Blick als das Wesentliche erkannt werden.
Der dadurch nur angedeuteten Möglichkeit des sich öffnens, der Aufforderung zum Eintreten entsprechen die silhouettenhaften Schriftzeilen an Handgriff und Querriegel, die die ursprünglich vom Künstler geplanten archaischen Zeichen verdrängten.
Wohl nur unter der Vorstellung der inneren Funktion setzt Holtwiesche an der namengebenden Innenseite dieser "Tür des Gesetzes" die geistige Vorstufe des Aquarells um in die geätzte, auf leichte Lichtveränderungen reagierende Edelstahloberfläche, deren "Eherner" Charakter noch durch die kaum merkliche Laibungsschräge verstärkt wird.
In der Mitte eines senkrechten Kreuzbalkens ein zweites Kreuz–Motiv, während die schweren Waagrechten der Türgriffe Last und eine Wiederholung und Vergrößerung der Tafelmotive oben bedeuten könnten, von deren an harte Schriftzüge erinnernden Zwischenformen Leit- und Verbindungslinien in die Bodenzone führen, denen zu folgen jeder einzelne aufgefordert und verpflichtet ist.
Im Gegensatz zu dieser stets benutzten Tür, ist die ebenfalls zweiflügelige, in Edelstahl geätzte nach draußen an der Nordwand der Kapelle unter dem Eindruck alttestamentarischer Psalmen – man wird in der graphischen Struktur an die aufstrebende "Krone" eines siebenarmigen Leuchters erinnert – und des Leidens Christi entstanden. Auf zwei sich oberhalb der Querriegel nähernden, von scharfen Bogenlinien überzogenen Bereichen, die an den Rändern plastische Tiefe illusionieren, erscheinen schwere, dunkler wirkende Tropfenformen, die Unmittelbar an Passion, an Trauer und Erlösung denken lassen.
In ikonographischer wie in künstlerisch ökonomischer Weise genauso überzeugend als Gegenstücke konzipiert sind, die beiden großen, bis auf den Boden reichenden, deckenhohen Glasfenster, die verschlüsselt Motive wie Kreuz und Trinität in ihren Formen zeigen.
In dem nach Südosten gerichteten, nur indirekt durch einen Lichtschacht, so trotz wandernden Lichtes aber gleichmäßiger beleuchteten Fenster fassen starke schwarze Eisenstege die differenziert blau bis violett getönten Rahmenfelder der Kreuzform ein, die einmal in dem hellen Feld neben dem dunkel–violetten Bereich links, das andere Mal in der grünlichen Figuration vor dem rötlich–braunen Grund rechts oben ihre Zentren hat.
Ganz anders als die von außen im Hell–Dunkel und durch Hohlform und Masse stark betonte Wirkung der Betonplastik des zweiten Fensters, ist die der Glasflächen von innen zarte, plötzlich abbrechende graphischen Elemente, Strahlen der technisch notwendigen Windstangen, die auch von den dunklen Farbkonzentrationen der linken Figuration auszugehen scheinen, stehen in krassem Gegensatz zu den ausgeschnittenen Betonstegen. Im Grundriss zur Mitte vorspringend, scheint sich das tiefe Rot–Braun–Violett der beiden untersten kuppelartigen Ausschnitte zu den Seiten und nach oben hin zu erhellen bis zu fahlem blauviolett oben und grüngelblichen Ockertönen rechts unten. Diese Aufhellung wird gegen die Altarseite hin besonders auffällig.
Dieser Eindruck des "Ausstrahlens" von – farblich wie im Kontur – geschlossenen Innen- und Randformen und die vor allem auch durch das unvermittelt scharfe Anstoßen an die glatte Laibung spürbare Mächtigkeit des Kreuzmotivs und der durch die drei Senkrechten betonte Hinweis auf die Trinität bestimmen die inhaltliche Qualität dieses sakralen Fensters.
Diese Motive entsprechen zum Teil auch denen an den Türen, so der "des Gesetzes", wo sie wiederum auch praktisch technischen Notwendigkeiten (Querriegel, Handhaben) Genüge tun.
Die Summe:
Ein Sakralraum von besonderer Harmonie und Stille.
Und die trotz aller Details großzügige, scheinbar abweisende "Vergitterung" vor und, um ein strahlend wirksames Zentrum, hinter dem Licht ist, lässt alle diese künstlerischen Formen zugleich auch in ihrer Funktion des Öffnens und Durchsichtigseins deutlich werden.
Humanisierung der Formen einer formelhaften und auf das Formale gerichteten Umwelt, im Blick auf etwas zentral Geistiges, das in der "figura" und ihrer Gegenfigur, in allen Arten der Durchdringung von Formen und auch in buchstabenhaften Zeichen ikonographisch ordnendes Element und eindeutige Aussage der meisten Bilder und Bildwerke von Hanns Holtwiesche ist.
Diese Website verwendet Cookies. Bitte lesen Sie unsere Datenschutzerklärung für Details.
Verweigern
OK